Warum ich gerne Kirchenmusikerin bin
Mittwoch, heute ist Johannistag, ca. 50 Menschen sitzen in der sonnendurchfluteten Kirche auf dem Wirberg und schauen mich an. Einige kennen schon, was jetzt kommt: Wir üben Teile der Komplet. Der kirchenmusikalische Ausschuss des Dekanats Grünberg hat zu einem liturgischen Spaziergang eingeladen, abends um 19.30 Uhr geht es los. Auch an diesem Abend sitzen Menschen vor mir, die noch nie ein gregorianisches Stundengebet gesungen oder gehört haben. Zaghaft ist der Hymnus, das Canticum wird schon besser. Die, die schon öfter dabei waren, ziehen die anderen mit. Und so haben wir nach ca. 20 Minuten die wichtigsten Teile der Komplet gesungen, und manche Noten-Zeichen haben eine Bedeutung bekommen.
Auf dem Weg wird mir erzählt, wie groß die Hürde des Mitsingens sei. Und immer wieder ermutige ich, dass es nicht auf den perfekten Ton ankommt, sondern auf das gemeinsame, gesungene Gebet. Nach der Komplet stehen wir vor der Kirche und bekommen Wasser und Saft, Brot und Wurst. Manche schauen mich an und ich weiß, die erste Hürde des Singens ist geschafft, nicht bei allen an diesem Abend, aber bei vielen. Das macht mich glücklich und ich habe das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.
Nur drei Tage später sitzt Christian Schmitt an unserer Laubacher Orgel, der bei uns abends mit Prof. Gunter Teuffel (Viola) musiziert. Auch das ist ein besonderer Moment: Wir eröffnen unsere Konzertreihe „mixtur – Eine Woche mit der Orgel“ und probieren, durch klassische und außergewöhnliche musikalische Kombinationen verschiedene Menschen in der Kirche zu begrüßen. Manche lieben die klassischen Konzerte, andere wollen Lars Ruppel, den Poetry-Slammer, zu Orgelmusik erleben. Diese Reihe funktioniert nur, weil die Kirchengemeinde mit dem Kultur- und Tourismusbüro Laubach in einer Flut von Sitzungen, Telefonaten und Mails zusammen arbeitet. Die Konzertangebote in unserer Region sind groß, die Menschen sind bereit, für Interessantes weit zu fahren, aber es gilt sie auch vor Ort zu erreichen.
Mein Leben als Kirchenmusikerin ist bunt, so bunt, wie ich es mir während des Studiums nie hätte vorstellen können. Obwohl ich die Einsamkeit und Ruhe beim Orgelüben manchmal sehr genieße, bin ich keine Einzelkämpferin. Wir arbeiten innerhalb unserer Kleinstadt mit den verschiedensten Gremien und den Schulen zusammen; innerhalb unserer Arbeitsgemeinschaft der drei Dekanate Grünberg-Hungen-Kirchberg mit den KirchenmusikerInnen, den Fach- und ProfilstelleninhaberInnen, den DekanInnen, PfarrerInnen und den vielen nebenberuflichen KollegInnen; innerhalb unserer Kirchengemeinde mit den vielen haupt- und nebenberuflichen Mitarbeitenden.
Und manchmal ist es einfach zu viel! Dann überlege ich, warum Kirchenmusik nicht einfach nur Orgelspiel und Chorleitung ist. Aber zum Glück kommen dann die Momente des liturgischen Spaziergangs, des Konzertes, des gelungenen Kinderchormusicals oder auch des Wettbewerbs der nebenberuflichen Organistinnen und Organisten der EKHN. Diese Kolleginnen und Kollegen strahlen während des Wochenendes so viel Begeisterung für das Orgel Spielen aus, dass es wieder neu ansteckt und auch ich mit neuem Schwung übe.
Routine und Langweile gibt es in meinem Berufsalltag nicht, jedenfalls nicht in meiner Kleinstadt, in unserem Dekanat. Da sind noch viele Ideen, die umgesetzt werden wollen. Jetzt ist Sommer, ich atme aus und räume auf, auf meinem Schreibtisch, im Chorschrank, hinter der Orgel. Und schon ist ein neuer Gedanke in meinem Kopf: „Das könnt ich doch mal machen!“ …